übergänge
eine interkulturelle Begegnung zum Thema
Vergänglichkeit, Tod und Übergang

23. November 2008, Deutschhofkeller Heilbronn


Nicht müde werden
sondern dem Wunder
leise
wie einem Vogel
die Hand hinhalten.
Hilde Domin


Zum vierten Mal spannen wir mit „über....brücken – interkulturelle Begegnung am
Totensonntag“ einen weiten Bogen von Heilbronn nach Kolumbien, nach Peru, über
Japan nach Togo und den Sudan, in die unbewusste Welt unserer Träume, in die
makabre Weisheit der Volksmärchen bis in die geistige Tiefe der Poesie, der spirituellen
Welt des Islam im Sufismus.
Für uns Initiatoren ist wichtig, einen Prozess in Heilbronn anzustoßen und einen
regionalen Bezug zu haben. Auch wenn die Künstler nicht immer direkt aus Heilbronn
kommen, ist unsere Motivation doch, uns miteinander hier in Heilbronn ins Gespräch zu
bringen: Begegnung, Toleranz und Verständigung. Verstehen, was der andere, der mir
Fremde an Geschichte(n), an Glauben, an Traditionen mitbringt, den Horizont, in dem
der andere sich bewegt, kennenlernen zu können und so den eigenen Horizont zu er-
weitern. Dazu möchte auch die vorliegende Dokumentation der Veranstaltung beitragen.

Sehr herzlich danken wir allen Teilnehmenden für ihre Beiträge, der Stadt Heilbronn
(Schul-, Sport- und Kulturamt) und dem Verein Zigarre Kunst- und KulturWerkHaus e.V.
für die finanzielle Unterstützung sowie der Integrationsbeauftragten Roswitha Graber.

Marina Wieland
Projektgruppe „über....brücken“

Konzeption: Alberto Jerez, Jutta Klee, Marina Wieland
Organisation: Alberto Jerez, Jutta Klee, Marina Wieland
Grafik, Fotografien, Layout: Alberto Jerez, Sibylle Schmid (DAVH)





Heilbronn hat einen hohen Anteil an Menschen mit Zuwanderungsgeschichte. 45% der
Einwohner kommen aus ca. 130 verschiedenen Nationen. Es ist daher eine wichtige
Aufgabe für alle in der Gesellschaft, Orte der Begegnungen zu schaffen, sei es im Alltag
oder sei es über Veranstaltungen unterschiedlichster Art. Das Projekt „über....brücken“
ist ein Kunstprojekt und damit eine weitere Chance, auf eine kreative Art Kontakte
zueinander aufzubauen. Das Thema „Vergänglichkeit, Tod und Übergang“, an dem wir
alle nicht vorbeikommen, hat dabei viel Verbindendes:

Was mir zu denken gibt...

Du und ich
Du bist anders als ich,
ich bin anders als Du.

Gehen wir aufeinander zu,
schauen uns an,
erzählen uns dann,
was Du kannst,
was ich nicht kann,
was ich so treibe,
was Du so machst,
worüber Du weinst,
worüber Du lachst,
ob Du Angst hast in der Nacht,
welche Sorgen ich trag,
welche Wünsche Du hast,
welche Farben ich mag,
was traurig mich stimmt,
was Freude mir bringt,
wie wer was bei euch kocht,
wer was wie bei uns singt...

Und plötzlich erkennen wir
- waren wir blind? –
dass wir innen uns
äußerst ähnlich sind.

Karlhans Frank


Begegnungen zwischen Menschen und auch das Projekt stoßen Prozesse an und wecken
Neugier aufeinander. Es werden Möglichkeiten eröffnet, Zutrauen zu entwickeln, das ein
Aufeinander-Zugehen leichter macht. Bis zu dem Punkt, an dem über viele Kontakte
auch Vertrauen entsteht.

Roswitha Graber
Integrationsbeauftragte der Stadt Heilbronn






„Das Lachen und der Tod“ ist eine kurze Inszenierung, angelehnt an das Bühnenstück
„Die rechte Hand von Gottvater“ des kolumbianischen Autors Enrique Buenaventura.
In bestimmten sozialen Kontexten kann der Umgang mit Tod und Grenzerfahrungen sich
bis hin ins „Komische“ bewegen - in starken Kontrasten zwischen Tragik und Ironie.
Die Interaktion zwischen dem Tod als transzendentaler Akt und dem Lachen als Ausdruck
von Trivialität und Entspannung ist etwas sehr Menschliches.
Diese Performance begibt sich auf die Suche nach der archaischen und fundamentalen
Rolle des Todes im Menschen.
Wir feiern, wenn wir glauben, den Tod besiegt zu haben. Zugleich feiern wir aber auch,
wenn der Tod kommt, damit neues Leben entstehen oder weitergehen kann.

Myra Wieland
Schülerin

Otto Novoa
Theaterregisseur

 



Der Tod im Apfelbaum

Es war einmal ein junger Mann, der immer freundlich und hilfsbereit zu allen Menschen
war. Eines Tages kam Gottvater in Gestalt eines armen Bettlers zu ihm. Und weil er ihn
bei sich aufnahm und ihm zu essen gab, wurde er mit drei Wünschen belohnt. Der
junge Mann wünschte sich, Gesundheit, ausreichend zu essen und Glück im Kartenspiel.
Eines Tages stand der Tod vor seiner Tür. Der junge Mann erschrak, denn ihm gefiel sein
Leben und er wollte noch nicht gehen. Listig forderte er den Tod zum Kartenspiel heraus.
Verlöre der Tod, müsste er sich auf den Apfelbaum im Garten des jungen Mannes setzen
und könnte erst wieder herunter, wenn dieser es ihm befahl. So verlor der Tod.
Die Menschen freuten sich und feierten den jungen Mann als dessen Bezwinger. Doch die
Kranken blieben für immer krank, die Alten wurden immer älter. Und die Welt stand still.
Die Zeit verging nicht.
Und endlich flehten die Menschen den jungen Mann um Erlösung. Er sollte den Tod
wieder vom Baum herunterlassen. Der junge Mann sah ein, er hatte lange genug gelebt
und gab dem Tod seine Freiheit zurück.
Der Kreis von Werden und Vergehen nahm wieder seinen Lauf.

Myra Wieland, nach einer Legende aus Lateinamerika








Unsere Träume bilden jegliche seelische Veränderung des Träumenden ab, man muss
sie nur genau daraufhin betrachten.
Persönlichkeits- oder Verhaltensveränderungen im alltäglichen Leben zeigen sich zu-
nächst im Traum, häufig durch ein Auftreten neuer und bislang unbekannter Symbole.
Da treten beispielsweise typische Wandlungssymbole auf oder wiederkehrende Symbole,
die man vorher jedoch nicht in seinen Träumen fand.

Zu den charakteristischen Wandlungssymbolen gehören folgende Bilder:

das Überschreiten einer Brücke
bzw. jede Situation, in der man ans andere Ufer gelangt, Neuland betritt oder ein
Zimmer in einem Haus entdeckt, von dessen Existenz man bisher nichts wusste
das Unterwegssein überhaupt
hier finden wir den Bahnhof, die Straße, das Auto, das Reisen als Symbol;
auch an mythologische Heldenreisen erinnert uns bisweilen unser Inneres.
Bei diesen Träumen ist besonders der Ort zu betrachten, von dem aus der Träumer auf-
gebrochen ist, wohin er will und ob er ankommt
Schwangerschaft und Baby – die weibliche Seite bringt etwas Neues hervor
die Küche als Ort der Umwandlung sowie
der Kessel
die Mühle oder Mühlsteine
das Feuer als eine starke Energie, die uns verbrennen oder erneuern kann und
die Schlange, sie ist ein vielschichtiges Traumsymbol.
Schlangenträume machen auf ein bedeutsames Geschehen in der Psyche des Träumen-
den aufmerksam. Da sie aus ihrer alten Haut schlüpfen und eine neue Haut bilden kann,
ist sie ein starkes Bild für menschliche Veränderungen.
Wie bei allen Symbolen muss auch hier auf Farben, Muster, Worte geachtet werden, auf
das Umfeld, in der die Schlange auftritt, z.B. im Schlaf- oder Arbeitszimmer und auf die
Traumgefühle. Letztere bilden oft den Schlüssel zum Verständnis der Traumbotschaft.

Auch ganz persönliche Situationen und Symbole, die wir aus unserer Lebenserfahrung
heraus mit Veränderungen assoziieren, dienen uns als Boten von Wandlung und Verän-
derung.

Ursula Juretzka
Heilpraktikerin für Psychotherapie, Traumtherapeutin
Bad Rappenau

 

 

 

 

 

 






Der Tod in der andinen Welt wird als Fortdauer des Lebens wahrgenommen. Diese Wahr-
nehmung des Todes ist ein Fortbestand der inkaischen Kultur. Die zentrale Idee im
Totenkult ist, dass die Toten in die Gemeinschaft und zu ihrem Haus zurückkehren um
ihre Familienangehörigen und das ganze Dorf zu besuchen.

Jaime Colán
freischaffender Künstler



Ich fürchte den Tod nicht
weil du in den Johannesbrotbäumen meines
Gartens geboren werden wirst
Vielleicht sterbe ich morgen
mein Körper aus Erde und Wasser
Hügel und Wüste Perus
die mit dir sein wird
in dieser fremden Welt
unsicheren Schicksals
In den Anden bedeutet der Tod nichts
so vielem Unheil und so großer Not werde ich
singen Jarawi oder Ayatakis
und den Pirucha tanzen um den Körper meiner
Geliebten,
die zum andern Ufer des Stromes reisen wird als
pilgernder Vogel.

Ich bringe Weizen von den Weizenfeldern
um meine Geliebte zu nähren - und
damit sie sich voller Zärtlichkeit an die Liebe
erinnert,
die wir auf den gelben Feldern säten
wenn wir uns zwischen den Hügeln lieben
bedeckt von violetten Blumen
und mit den täglichen Diskussionen des Lebens

Ich fürchte den Tod nicht ich erwarte ihn in diesem
endlosen Kampf mit denen, die das Leben zerfetzen
mit wütenden Ausbrüchen gegen die Freude
Ich fürchte den Tod nicht
wie ein wildes Gras der kalten Höhen der Anden
lebe ich jeden Tag wie Wasser aus einer Quelle die
die weißen Reiher der Sümpfe tränkt
während deine Liebe aus jedem grausamen Desaster
des Todes wieder auftaucht – wenn auch beschädigt
im Krieg

Nun bin ich allein im düsteren Saal
mit dem von der Zeit gebrochenen Herzen 30 Jahre
einer Liebe zusammenfassend die geboren wurde in
einem einfachen flüchtigen Blick mit den Farben des
Frühlings
Und ich werde dich lieben das Leben lieben mit
diesem Tod der mich begleitet zärtlich die letzten
Lilienbüsche meines Gartens kosend
Ich fürchte den Tod nicht
ich werde Merengue tanzend von hier fortgehen
und werde den letzten gelben Ginster an meinem
Fenster zurücklassen
dein Lächeln erwartend das dem Leben singt.

Jaime Colán / Ute Wolf (dt. Übersetzung)





 

 



 

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